ic_keyboard_arrow_right_48px default-skin 2 4_close 4_open 8_close8_open9_close9_open10_close10_open Generated by Fontastic.me stm_booking_bergellstm_booking_bike_hotelstm_booking_bus_incstm_booking_bus_railway_incstm_booking_bus_cable_railway_asteriskstm_booking_golfhotelstm_booking_hotel_skipass Astm_booking_hotel_skipass Bstm_booking_railway_incstm_booking_railway_inc_asterisk
Cresta Run St. Moritz

Cresta Run

Gentlemen im Eiskanal
Am Cresta Run herrscht Hochbetrieb.

Es ist Ende Februar, und heute findet der Claude Cartier Challenge Cup statt. Auf dem Bauch, mit dem Kopf voran, rasen die Teilnehmer mit einer Geschwindigkeit von maximal 138 Stundenkilometern auf einem 35 Kilo schweren „Toboggan“ genannten Schlitten durch den Eiskanal Richtung Ziel in Celerina. Adrenalin pur. Aber wer in aller Welt stürzt sich freiwillig mit so einem Tempo eine Eisbahn hinunter?

Es vibriert im Bauch

Zwei der Wagemutigen sind – man möchte fast sagen „of course“ – zwei Briten: Vater James und Sohn Casper Sunley. Verspüren sie auf dem Cresta Run Angst? „Ich bin sehr wachsam, bevor ich die Cresta-Bahn hinunterfahre. Man muss immer versuchen, die beste Linie zu nehmen. Das Problem ist, dass man bei solch einer hohen Geschwindigkeit nur etwa fünf bis acht Meter vor sich sieht“, sagt Casper Sunley. „Man sollte der Bahn immer mit Respekt begegnen und nicht leichtsinnig werden. Jeder, der sagt, er hätte nicht ein bisschen Angst vor dem Rennen, lügt“, meint James Sunley.

James Sunley mit Sohn Casper
Leidenschaftliche Cresta-Fahrer: James Sunley mit Sohn Casper.

Feinstes British in St Moritz

Es waren vier Briten, die das beliebte Schlittenrennen nach St. Moritz brachten. Deshalb wird auch heute noch im St Moritz Tobogganing Club (SMTC) nur feinstes British gesprochen. Und nach wie vor ist es auch ein Brite, der seit zwei Jahren Präsident des renommierten SMTC ist: James Sunley. Die Hälfte der 1’240 Clubmitglieder sind ebenfalls Briten. Dass sie damals nach St. Moritz kamen, blieben und immer wiederkehrten, ist einem Mann zu verdanken, der im Sommer 1864 eine zündende Idee hatte: Johannes Badrutt, ehemaliger Inhaber und Direktor des Kulm Hotel. Er bot seinen englischen Sommergästen an, die Schönheit des Engadins auch im Winter zu entdecken. Falls es ihnen nicht gefalle, würde Badrutt die Hotelkosten komplett übernehmen. Dieses Angebot liessen sich die Engländer nicht zweimal machen. Nun waren sie da und wollten sich amüsieren. Wieder waren es Johannes und Caspar Badrutt, die 1884 die erste Cresta-Bahn zur Verfügung stellten und finanzierten. 1887 kam dann der Club dazu. Badrutts Bedingung: Die Leitung muss ein Brite innehaben!

St Moritz Tobogganing Club & The Cresta Run
St Moritz Tobogganing Club & The Cresta Run

Der Bahn mit Respekt begegnen

Casper und James Sunley besprechen die Wetterbedingungen. „Es wird langsam wärmer, und das Eis beginnt zu schmelzen, deshalb muss früh gefahren werden. Perfekte Rennbedingungen herrschen, wenn die Nacht kalt ist und es morgens ein bisschen taut. Der leichte Wasserfilm auf dem Eis ist perfekt“, erklärt James. Vor jedem Rennen muss der Pilot Course – der Testfahrer – die Strecke freigeben. Die Schlitten haben die Sunleys wie alle anderen Fahrer am Vortag selbst präpariert, die Kufen geschliffen und poliert. Die Spannung steigt ebenso wie die Konzentration. Man wärmt sich auf, legt im Dressingroom die Schutzkleidung an, einen hauteng anliegenden Skinsuit, ähnlich einem Langlauf- Anzug. Andere bevorzugen die ursprüngliche, robuste Kleidung wie Tweed oder Knickerbocker. British eben.

Sunny Bar - Kulm Hotel St. Moritz

Sunny Bar - Kulm Hotel St. Moritz

Rekord: 1’214 Meter in 49,92 Sekunden

Es gibt zwei Startpunkte auf dem Cresta Run. Top startet oberhalb der alten katholischen Kirche St. Mauritius beim Kulm Hotel und führt über 1’214 Meter mit einem Höhen- unterschied von 157 Metern ins Ziel. Der Streckenrekord beträgt 49,92 Sekunden – gehalten seit 2015 von Lord Clifton Wrottesley. Der Startpunkt Junction ist beim Cresta Clubhouse, die Strecke ist damit um ein Viertel kürzer. „Die Top-Strecke hat eine durchschnittliche Neigung von 20 Prozent, maximal 35 Prozent, ist schneller, und es gibt aufgrund der Länge drei weitere Kurven. Dort, wo Junction erst beginnt, erreicht man bei Top bereits eine Geschwindigkeit von annähernd 90 Stundenkilometern. Das ist eine ganz andere Stimmung. Man sieht alles verschwommen, es vibriert im Bauch. Hat man die gefährlichste Kurve ‚Shuttlecock‘ – zu Deutsch: Federball – hinter sich, kann man erst mal aufatmen. Aber man muss es dann noch schaffen, mit enormer Geschwindigkeit im Ziel zum Stehen zu kommen“, erklärt James.

Frauen als „Non-active Members“ des SMTC
Die Cresta-Saison beginnt jedes Jahr kurz vor Weihnachten und dauert bis zum ersten März-Wochenende.

Die Sicherheit der Athleten ist das Allerwichtigste

Casper ist derzeit Tower-Boy. Er hilft ehrenamtlich während der Cresta-Saison im Club aus und kontrolliert mit dem Chefsekretär, dem Kommentator im Kontrollturm, das Rennen von oben. Das Spektakel wird von 16 Kameras überwacht, und die Organisatoren halten per Funk ständig Kontakt. „Normalerweise herrscht absolute Ruhe, aber es kann auch hektisch zugehen. Die Sicherheit der Athleten ist das Allerwichtigste“, erklärt Casper. Entlang der Strecke stehen bis zu zwölf Mitarbeiter der Firma Seiler. Sie konstruieren die Eisbahn jedes Jahr per Hand neu und kümmern sich täglich morgens ab sechs Uhr um die Instandsetzung der Bahn.

Preisverleihung in der Sunny Bar des Kulm Hotel

ie Cresta-Saison beginnt jedes Jahr kurz vor Weihnachten und dauert bis zum ersten März-Wochenende. In dieser Zeit finden rund 12’000 Abfahrten statt. Rennen werden wöchentlich mittwochs, samstags und sonntags veranstaltet, für gewöhnlich sind sie nach früheren Mitgliedern benannt. Das Blue Riband (umgangssprachlich für das Grand-National- Rennen) hat James dreimal gewonnen. An allen anderen Tagen wird trainiert. Nach den Rennen werden die Sieger gebührend gefeiert. „Die Sunny Bar des Kulm Hotel ist das spirituelle Zuhause des Cresta. Hier findet nach jedem Rennen die Preisverleihung mit anschliessendem Lunch statt“, erzählt James Sunley. Preisgeld gibt es keins, aber kleine Pokale und ein Fläschchen Champagner. Es gibt viele Rituale beim Cresta. Eines davon ist, dass man beim Erreichen von gewissen Zeiten Pullover mit unterschiedlichen Streifen bekommt. Kein Ritual, sondern ein Warnsignal ist es, wenn beim Herausfallen aus der in ganz St. Moritz bekannten Shuttlecock-Kurve drei laute Glockentöne schrillen. Per Handzeichen gibt der Fahrer dann Bescheid, ob er okay ist. Die Kurve hat sogar einen eigenen „Shuttlecock-Club“, in den jeder eintreten darf, der schon mal aus der sagenumwobenen Biegung herausgefallen ist. Ein anderes Ritual sind die sogenannten Fireworks: Nach der Siegerehrung stehen alle Männer auf, die an diesem Tag aus der Shuttlecock gefallen sind, hüpfen dreimal in die Luft und ahmen lautstark und wild gestikulierend ein Feuerwerk nach.

St. Moritz Tobogganing Club & The Cresta Run
St. Moritz Tobogganing Club & The Cresta Run
St. Moritz Tobogganing Club & The Cresta Run
St. Moritz Tobogganing Club & The Cresta Run
Beim Cresta Run – Claude Cartier Challenge Cup in St. Moritz rasen die Teilnehmer auf einem 35 Kilo schweren „Toboggan“ genannten Schlitten durch den Eiskanal Richtung Ziel in Celerina.

Frauen als „Non-active Members“ des SMTC

Und was ist mit dem Gerücht, dass Frauen kein Cresta fahren dürfen? „Ladies not admitted“ – so steht es auf dem rot-gelben Schild an der Tür zu den Umkleidekabinen der Cresta-Fahrer. Es stimmt: Seit 1929 dürfen Frauen keine offiziellen Rennen mehr fahren, nur noch einmal im Jahr am letzten Tag der Saison. In der Bar und als Anfeuerer an der Strecke sind sie jedoch mehr als willkommen und haben auch sonst überall Zutritt – 250 Frauen sind „Non-active Members“ des SMTC. Denn ganz gleich ob mutiger Cresta-Rider oder begeisterter Zuschauer: Den Cresta Run mindestens einmal zu erleben, ist in St. Moritz ein „Must“.

Datum
2021
Text
VALENTINA KNAPP VOITH
Fotos
Cresta Run